Mit einer Roadmap für den Übergang vom analogen zum digitalen terrestrischen Hörfunk (DAB+) in Deutschland befasst sich seit dem Juni 2015 das Digitalradio-Board unter Leitung des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Nach mehr als einem Jahr ohne veröffentlichte Ergebnisse in dieser Sache werden hier und da Stimmen der Ungeduld laut: Die Schweiz mache doch vor, wie es gehen könne.
Das Board möge sich den für die Eidgenossen in der Tat trefflichen Maßnahmen-Plan der Arbeitsgruppe Digitale Migration (AG DigiMig) zum Vorbild zu nehmen. Doch welche Lehren bietet der Blick ins Nachbarland?
Als die AG DigiMig im März 2013 ihre Arbeit aufnahm, agierte sie im Kontext der gesetzlich verankerten Strategie zur Radioverbreitung aus dem Jahr 2006, deren Vorläufer wiederum auf die Zeit Anfang der 1990er Jahre zurückgingen. Sie stand somit auf dem normativen wie regulatorischen Fundament einer Strategie zur Radioverbreitung, das von einer Vielzahl verantwortlicher Entscheidungen höchster politischer Stellen gefestigt wurde und die sich bereits seit über einem Jahrzehnt im gesellschaftlichen Prozess formierte. Insbesondere galt spätestens seit 2002 allgemein als geklärt, dass sich unter den Umständen analoger Radioverbreitung in der Schweiz die Quantität verbreiteter Programme und die Qualität des Empfangs nicht vereinbaren lassen. Der Digitalisierung des Frequenzspektrums wurde gegenüber einer absehbar immens aufwändigen Neuplanung des UKW-Spektrums verbindlich der Vorzug gegeben.
Außerdem herrscht seither in der Branche wie in den verantwortlichen politischen Kreisen die Grundauffassung vor, dass die digitale Migration für den Fortbestand der Gattung Radio unabkömmlich sei: Wenn Radio Bestand haben wolle, müsse es den Schritt zur digital-terrestrischen Verbreitung vollziehen; wandelte es sich nicht in dieser Weise, würden andere Dienste an die Stelle des Mediums Radio treten.
Das Resultat dieses langjährigen kollektiven Willensbildungsprozesses in der Schweiz ist: 1. Terrestrisches Radio gehört zum unverbrüchlichen Bestand der gesellschaftlichen Kommunikation. 2. Damit Radio seine Funktion erfüllen kann, bedarf es der Migration zur digitalen Terrestrik, konkret: DAB+. 3. Die Steuerung dieses Übergangs kann und soll nicht allein dem Markt überlassen werden.
Die AG DigiMig zeigt zugleich, wie es gelingen kann, die Arbeit an einem Umsteuerungsprozess von gesellschaftlicher Tragweite erfolgreich zu Ende zu führen.
Was der Blick in die Schweiz also lehren mag, ist nach meinem Dafürhalten zunächst dies: Der Maßnahmenkatalog zur digitalen Migration aus dem Jahr 2014 bildete das vorläufige Ende eines langwierigen gesellschaftlichen Prozesses, im Verlaufe dessen alle Beteiligten ihre Rollen bereits weitgehend gefunden hatten. Dieser Vorlauf war die wichtigste Voraussetzung für die erfolgreiche gemeinschaftliche Arbeit der AG DigiMig binnen kurzer Zeit. Zur Qualität dieser Vorbereitung gibt es für das politische Gemeinwesen zwischen Flensburg und Füssen bislang kein Pendant. Vor allem scheinen die fürs Medienrecht zuständigen Stellen, die Bundesländer, der gesellschaftspolitischen Dimension ihrer Zurückhaltung nach wie vor nicht genügend Aufmerksamkeit zu schenken; es gab und gibt es keinen politisch wirksamen föderalen Ansatz zur Radiopolitik.
Taugt also der Blick in die Schweiz eher dazu, die hierzulande unbestellten Felder ausfindig zu machen, denn dass sich bei einem Vergleich Ansatzpunkte für unmittelbare Nachahmungen auftäten?